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Verschuldensunabhängige Schadensersatzpflicht des Bauherrn für Bauverzug

Bauunternehmer bekommen regelmäßig Vertragsfristen in den Bauvertrag geschrieben und haften dann, wenn sie diese schuldhaft nicht einhalten. Vertragsstrafen sollen zudem die Durchsetzung erleichtern.

Umgekehrt kann es aber auch dem Bauherrn so ergehen, wenn er seinerseits den Bauunternehmer daran hindert, die Vertragsfristen einzuhalten, weil seine Baustelle terminlich aus dem Ruder läuft.
Das Land Berlin schrieb Trockenbauarbeiten für eine Gemeinschaftsschule aus. In dem VOB/B-Vertrag war als Baubeginn der 20.7.2016 vorgesehen, wobei die Arbeiten bis zum 7.4.2017 fertig gestellt werden sollten. In den besonderen Vertragsbedingungen waren auch Zwischenfristen für bestimmte Bauabschnitte vorgesehen.

Der Bauunternehmer, der schließlich den Zuschlag erhielt, gab ein Angebot zu rund 334.000 € ab. Das Land Berlin bat zweimal um Verlängerung der Bindefrist bis zuletzt zum 5.8.2016; diese Frist lag damit schon nach dem vertraglich vorgesehenen Baubeginn. Mit Schreiben vom 2.8.2016 erteilte das Land den Zuschlag und forderte den Unternehmer auf, mit den Bauarbeiten zu beginnen. Tatsächlich teilte der Bauleiter einen Baubeginn zum 5.9.2016 sowie auch für die weiteren Bauabschnitte weitere Termine mit. Der Baufortschritt geriet ins stocken, weil die Vorgewerke nicht fertig wurden. Der Unternehmer konnte erst nach der eigentlichen Fertigstellungsfrist mit dem letzten Bauabschnitt beginnen.

Nach der Fertigstellung forderte er neben der vertraglich vereinbarten Vergütung einen Schadensersatz von rund 207.000 €. Die Berechnung nahm der Unternehmer dergestalt vor, dass er aus dem Bauverzugszeitraum und der geplanten Bauzeit einen Quotienten bildete und diesen mit der vereinbarten Vergütung multiplizierte. Anschließend zog er ersparte Material- und Gerätekosten sowie alternativ erwirtschafteten Werklohn ab.

Das Land bezahlte nicht und wurde vom Unternehmer verklagt. Das Landgericht Berlin wies die Klage ab. Die Berufung blieb erfolglos. Der BGH kassierte die Entscheidungen der Vorinstanzen und urteilte einen Schadensersatz von wenigstens 159.804,29 € aus und verwies den Rechtsstreit wieder zurück zum KG Berlin.

Im Urteil vom 30.1.2020 erklärte der VII. Zivilsenat, dass der Zuschlag nach dem im Vertrag vorgesehenen Baubeginn nicht dazu führe, dass die Vertragsfristen hinfällig geworden seien. Erforderlich sei in diesem Fall eine Vertragsanpassung. Der Parteiwille sei dahingehend auszulegen, dass die Parteien in diesem Fall neue Vertragsfristen vereinbaren wollten. Gelänge dies den Parteien nicht, entstünde eine Vertragslücke, die notfalls durch richterliche Entscheidung zu füllen sei. Vorliegend sei es allerdings zu einer konkludenten Einigung gekommen. Der Bauleiter habe neue Termine mitgeteilt und die Beklagte habe die Werkleistungen zu diesen Terminen widerspruchslos hingenommen, so dass diese vorab mitgeteilten Termine die neuen Vertragsfristen darstellten.

Bisher sei obergerichtlich noch nicht geklärt, welchen Inhalt der Entschädigungsanspruch nach § 642 BGB habe und wie der zu bemessen sei. Der Begriff „angemessene Entschädigung“ in § 642 BGB mache deutlich, dass es sich bei dem Anspruch nicht um einen umfassenden Schadensersatzanspruch handele, der nach §§ 249 ff BGB zu bemessen sei, sondern vielmehr ein Anspruch sui generis vorliege, vgl. BGH-Urteil vom 26.10.2017, VII ZR 16/19 – ZIV 2017, 84. Nach der systematischen Stellung im Gesetz ergänze § 642 BGB die Gefahrtragungsregelungen in den §§ 644, 645 BGB und betreffe daher die Verteilung eines vertraglichen Risikos, wenn infolge einer vom Besteller zu erbringenden Mitwirkungshandlung (hier: Herstellung der Baufreiheit) die Ausführung der Leistung durch den Unternehmer gestört werde, ohne dass eine der Parteien hieran ein Verschulden treffe. Da die Norm kein Verschulden voraussetze, auch wenn das Problem i.d.R. aus der Sphäre des Bestellers stamme, bestünde keine Rechtfertigung, dem Unternehmer jedweden Nachteil zu ersetzen. Daher stünden dem Unternehmer der Ersatz für Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 645 Abs. 2 BGB (Verschulden) zu. Da die Vorinstanzen insoweit keine ausreichenden Feststellungen getroffen hatten, verwies der BGH den Rechtsstreit zurück, VII ZR 33/19.