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Corona: Mietzahlungspflicht mit Minderungsmöglichkeit

Das Landgericht München I musste sich im Urteil vom 22.9.2020 mit der Frage auseinandersetzen, ob eine Gewerbemieterin wegen coronabedingter Einschränkungen das Recht zur Mietminderung hat. Die Mieterin mietete im Oktober 2017 in der Münchener Innenstadt ein Ladenlokal zum Vertrieb von Möbeln und Wohnaccessoires mit einer Fläche von knapp 3000 m² an. Als monatlicher Mietzins waren bruttowarm rund 76.000 € vereinbart.

Aufgrund mehrerer öffentlich-rechtlicher Anordnungen wurde der Mieterin die Öffnung ihrer Ladenfläche in der Zeit vom 18.3.2020 bis zum 26.4.2020 vollständig untersagt. Ab dem 27.4.2020 bis zum 10.5.2020 war der Verkauf nur auf einer Fläche von 800 m² erlaubt. Dabei musste die Mieterin ein umfangreiches Abstands- und Hygienekonzept einhalten, wobei in dem Ladengeschäft nur maximal der Aufenthalt eines Kunden je 20 m² Verkaufsfläche zugelassen war. Später entfiel die Verkaufsflächenbeschränkung. Die Mieterin erklärte mit Schreiben vom 23.3.2020, dass sie ab April die Miete bis auf weiteres coronabedingt um 100% mindern werde. Es liege ein Fall der höheren Gewalt vor. Die Vermieterin klagte daraufhin die Mieten für April, Mai und Juni ein. Die Klage hatte nur teilweise Erfolg.

Das Landgericht München I erkannte in den coronabedingten Anordnungen einen Mietmangel. Schon in der Frühzeit der Geltung des BGB sei anerkannt gewesen, dass ein Verbot der Öffnung von Verkaufsstellen des Einzelhandels oder des Gastgewerbes einen Mietmangel im Sinne von § 536 Abs. 1 BGB begründen könne. So habe das Reichsgericht in Leipzig (JW 1913, 596) entscheiden, dass die öffentlich-rechtliche Untersagung des Betriebes einer Fabrik durch die örtliche Polizeibehörde einen Mietmangel darstelle. In einer weiteren Entscheidung vom 9.11.1915 (Rep.III 145/15) stellte ein Tanzverbot für ein Restaurantetablissement mit Tanzbar einen Mietmangel dar.

1916 urteilte das Reichsgericht (Urteil vom 15.2.1916, Rep. IIII 333/15) in einer weiteren Entscheidung, dass die Mietsache einer als Nachtlokal betriebenen Weinwirtschaft mangelhaft werde, wenn die Polizeistunde um eine Stunde vorverlegt werde.

Schließlich habe das Reichsgericht mit Urteil vom 26.10.1917 (Rep. III 212/17) entschieden, dass die Untersagung des Badebetriebs durch die zuständige Militärbehörde einen Mietmangel für ein auf Badegäste ausgerichtetes Ladengeschäft schaffe. Diese Rechtsansicht werde durch verschiedene aktuelle Fachartikel (Krepold WM 2020, 726, Horst, MK 2020, 089) gestützt. Auch in der Kommentierungsliteratur (Palandt, BGB 2020, § 536 Rz. 18) sei anerkannt, dass öffentlich-rechtliche Beschränkungen als rechtliche Verhältnisse einen Mangel darstellen könnten, wenn sie sich auf die Beschaffenheit, Benutzbarkeit oder Lage der Sache bezögen, wobei es auf den vereinbarten Geschäftszweck ankomme und die Beschränkung grundsätzlich bestehen müsse.

Der Mietvertrag sehe als Geschäftszweck den Betrieb eines Möbelgeschäfts mit Wohnaccessoires vor. Die Parteien hätten sich zurzeit des Abschlusses des Mietvertrages keine Gedanken zur Nutzungseinschränkungen in der Innenstadt wegen seuchenrechtlicher Maßnahmen gemacht. Damit träfe die behördliche Einschränkung die vertragsgemäß vorausgesetzte Nutzungsmöglichkeit die Mietsache selbst, da nach dem beschriebenen Mietzweck der Betrieb des Ladens gerade möglich sein sollte. An diesem Mietzweck müsse sich die Vermieterin festhalten lassen. Im April sei ein gewöhnlicher Geschäftsbetrieb fast ausgeschlossen gewesen. Die Minderung betrage daher 80%. Im Mai habe die Flächenbeschränkung auf 800 m² zu erheblichen Nutzungsbeschränkungen geführt, die zu einer Minderung von 50% führe und die Miete Juni sei um 15% zu mindern, nachdem in dieser Zeit nur ein Kunde je 20m² Verkaufsfläche das Geschäft betreten durfte. Ergänzend führte das Gericht aus, dass auch ein Fall der Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB vorliege, die einen vertraglichen Anpassungsanspruch schaffe. Die Mängelhaftungsregelungen seien allerdings vorrangig anzuwenden, 3 O 4495/20.